EXPERTENINTERVIEW EXPERTENTELEFON „Sterbehilfe und Patientenverfügung“ am 12.04.2012

Experteninterview zum Thema Sterbehilfe, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Bestattungsvorsorge

Interview mit Wolfgang Putz, Rechtsanwalt, München, ausschließliche Tätigkeit im Medizinrecht mit den Schwerpunkten Arzthaftungsrecht und Patientenrechte am Ende des Lebens, Lehrbeauftragter an der LMU München

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kann man eine Patientenverfügung jederzeit ändern?

  • Wolfgang Putz: Man kann eine Patientenverfügung jederzeit ändern. Dazu muss man nicht einmal voll geschäftsfähig sein, es genügt die Einsichtsfähigkeit, also das Verständnis für die Tragweite einer etwaigen Abänderung.

Welche Rechte haben Ehepartner oder andere Angehörige, wenn jemand seinen Willen nicht mehr äußern kann und keine Patientenverfügung und keine Vorsorgevollmacht erteilt hat?

  • Wolfgang Putz: Ehepartner oder Kinder können einen Patienten, der seinen Willen nicht mehr äußern kann, keineswegs aufgrund ihrer Verschwägerung bzw. Verwandtschaft vertreten. Die einzige vom Gesetz vorgesehene Vertretung besteht hinsichtlich Minderjähriger durch ihre Eltern. In allen anderen Fällen muss eine Vorsorgevollmacht erteilt werden. Fehlt eine solche, muss das Betreuungsgericht beispielsweise den eigenen Ehegatten oder das eigene Kind als Betreuer einsetzen und sodann regelmäßig kontrollieren. Es kommen erhebliche Verfahrenskosten zustande. Ansonsten kann jedermann, nicht nur Ehepartner oder Kind, Zeugenaussagen über Willenserklärungen des Patienten in gesunden Tagen zu seiner Behandlung respektive zu seinen Wertvorstellungen machen.

Passive Sterbehilfe ist in Deutschland erlaubt, aktive nicht. Wo verläuft die Grenze?

  • Wolfgang Putz: Erlaubt und geboten ist alles, was dem Patientenwillen entspricht – mit Ausnahme der direkt gewollten aktiven Tötung des Patienten, sei es auf Wunsch des Patienten oder aus eigener Entscheidung (Tötung oder Tötung auf Verlangen). Insbesondere ist das Beenden einer lebenserhaltenden ärztlichen Therapie, etwa eine künstliche Ernährung oder Beatmung, nach dem Willen des Patienten erlaubt und geboten. Das gilt auch dann, wenn die Beendigung der Therapie ein aktives Handeln wie etwa das Abschalten einer Beatmungsmaschine erfordert.

Können Sie an einem konkreten Beispiel den Unterschied zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe erläutern?

  • Wolfgang Putz: Gebotene passive Sterbehilfe ist etwa die Beendigung einer künstlichen Beatmung bei gleichzeitiger Sedierung, sodass der Patient erst einschläft und dann ohne Empfindungen verstirbt, sofern das gesamte Vorgehen dem Patientenwillen entspricht. Am häufigsten wird die künstliche Ernährung eingestellt. Den dafür notwendigen Patientenwillen kann der Patient aktuell äußern oder im voraus kundgetan haben, beispielsweise durch eine schriftliche Patientenverfügung. Dagegen wäre es eine verbotene, aktive Sterbehilfe, wenn ein Patient, der gar nicht künstlich lebensverlängernd behandelt wird, darum bittet, durch eine Maßnahme, wie etwa eine Giftspritze, getötet zu werden. Die Injektion der Giftspritze ist verbotene aktive Sterbehilfe, also Tötung durch einen anderen. Ebenso legal ist die Beihilfe zur Selbsttötung, also aktive Tötung des Patienten durch sich selbst, wenn der Patient frei verantwortlich ist. Es muss die eigentliche Tötungshandlung zwingend vom Patienten selbst und nicht durch eine andere Person ausgeführt werden. Im Übrigen darf das Handeln des Patienten nicht einer durch Krankheit gestörten Entscheidungsfindung entspringen, sonst ist jede Form der Beteiligung an der Selbsttötung strafbar.

Neben der aktiven und passiven Sterbehilfe gibt es auch noch die indirekte Sterbehilfe. Was ist darunter zu verstehen?

  • Wolfgang Putz: Die indirekte Sterbehilfe muss korrekt als indirekte aktive Sterbehilfe bezeichnet werden. Man spricht dann von indirekter Sterbehilfe, wenn die notwendige Linderung von schwersten Leiden, etwa durch Medikamentengabe, als Nebenwirkung bewirkt, dass das Leben um kurze Zeit verkürzt wird. Der Vorsatz, also die Zielrichtung der Behandlung darf dabei nicht die Lebensverkürzung betreffen, sondern die Leidensminderung auf ein erträgliches Maß. Dann ist das Vorgehen legal.

Neben medizinischen Problemstellungen gibt es auch finanzielle Dinge, die man zu Lebzeiten regeln sollte, zum Beispiel in Sachen Bestattung und Erbschaft. Wozu raten Sie hier und wann sollte man diese Regelungen treffen?

  • Wolfgang Putz: Für die letzte Phase im Leben sollte man an finanzielle Regelungen durch eine Vorsorgevollmacht denken, etwa für die Vermögensverwaltung. Außerdem sollte man prüfen, ob für den Eintritt des Erbfalles Regelungen getroffen werden sollten oder die gesetzlichen Regelungen ausreichen. Grundsätzlich macht es Sinn, beispielsweise die eigene Bestattung frühzeitig nach eigenen Wünschen zu regeln und gegebenenfalls sogar im Voraus zu bezahlen.

Was ist eine Vorsorgevollmacht und in welchem Alter sollte sie erteilt werden?

  • Wolfgang Putz: Eine Vorsorgevollmacht setzt eine andere Person zum Vertreter in den Angelegenheiten ein, die in der Vorsorgevollmacht ausdrücklich erwähnt sind. Ab Vollendung des 18. Lebensjahres existiert kein gesetzlicher Vertreter mehr, daher macht die Errichtung einer Vorsorgevollmacht, etwa an die eigenen Eltern, mit Eintritt der Volljährigkeit Sinn. Zumindest im Bereich der Gesundheitssorge kann es jeden jungen Erwachsenen jederzeit treffen, sodass seine Eltern für ihn Entscheidungen treffen müssen. Die Erteilung der Vorsorgevollmacht verhindert dann die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung durch das Betreuungsgericht. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers gehen familiäre Regelungen vor.

Sollte man Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten am besten notariell oder privatschriftlich abfassen?

  • Wolfgang Putz: In der Regel genügt eine privatschriftliche Abfassung. Eine notarielle Beurkundung ist jedoch in einigen Bereichen des Lebens erforderlich, etwa im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Handelsfirma, bei Kreditaufnahmen oder bei allen Belastungen oder sonstigen Verfügungen über eine Immobilie. Hier sollte man sich dringend vom Notar oder vom Rechtsanwalt beraten lassen.

Was passiert, wenn der Arzt eine lebenserhaltende medizinische Maßnahme einleitet und erst nachträglich erfährt, dass diese laut Patientenverfügung von dem Betroffenen nicht gewünscht wird.

  • Wolfgang Putz: Stellt sich erst nach Aufnahme einer dauerhaften, lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme, wie etwa der künstlichen Beatmung oder künstlichen Ernährung bei einem nicht mehr willensfähigen Patienten, heraus, dass diese seiner Patientenverfügung widerspricht, so muss sie beendet werden. Die ursprüngliche Aufnahme ohne Kenntnis der Patientenverfügung ist nicht strafbar. Die Fortsetzung wäre aber eine strafbare Körperverletzung.

Für Angehörige ist es oftmals schwierig, sich gegen den Willen eines Arztes durchzusetzen – auch wenn sie wissen, dass eine bestimmte Behandlung nicht im Sinne des Patienten ist. Was raten Sie den Betroffenen im Falle eines solchen Konflikts zu tun?

  • Wolfgang Putz: Man sollte dem Arzt klarmachen, dass er sich mit einer Behandlung gegen den Willen des Patienten strafbar macht. Ebenso kann man bei Gericht sofort die Beendigung dieser Behandlung erzwingen. Allerdings kann der Arzt einem solchen Verfahren durch Kündigung des Behandlungsvertrages zuvorkommen. Wenn also Gespräche zu keinem Erfolg führen, sollte nicht geklagt, sondern der Arzt gewechselt werden. Den rechtswidrig handelnden Arzt sollte man aber mindestens bei der Ärztekammer anzeigen. Strafanzeigen werden jedenfalls dann künftig zum Erfolg führen, wenn der Arzt hartnäckig gegen den Patientenwillen sich weiterhin ein Recht zur Behandlung anmaßt. Nach der neuesten Rechtsprechung des BGH ist dies zweifellos eine strafbare Körperverletzung, auch wenn sie das Leben des Patienten erhält respektive der Patient bei Beachtung seines Willens stirbt.
Quelle: deutsche journalisten dienste (djd),